Wir ahnten es alle unterbewusst schon länger, an diesem Samstag haben wir es dann ausgesprochen und wussten: Unsere Mama kann im Haus nicht mehr weiter wohnen, auch nicht zusammen mit einer 24h-Betreuung – ihre Krankheit ist einfach zu weit fortgeschritten und das Haus nicht auf ihr Stadium der Pflegebedürftigkeit ausgelegt. Es ging dann alles sehr schnell und bereits 2 Tage später konnte unsere Mama ins LanzCarré in Mannheim einziehen.
Durch einen Hirntumor ist sie kognitiv eingeschränkt und wir beiden Schwestern haben ihr zwar versucht zu erklären, dass dies nun die einzig vernünftige Lösung ist, so richtig sicher, ob sie verstanden hat, dass es sich um einen endgültigen Umzug aus ihrem jahrelangen Zuhause handelte, waren wir uns jedoch nicht und es fiel uns schwer, es gegenüber ihr immer wieder zu verdeutlichen. Denn die Entscheidung für die dauerhafte Unterbringung in einem Pflegeheim der mit Ende 50 noch sehr jungen Mama, war schwierig. Pflegeheime, die sich extra auf jüngere, kranke Menschen spezialisiert haben, sind rar und uns war die Nähe zu zumindest einem der Kinder sehr wichtig – daher der Entschluss die Mama im LanzCarré unterzubringen.
Es haftete zunächst eine gewisse Skepsis und Unbehagen auf der neuen Situation. Wir waren alle sicher, dass wir das Beste daraus machen und viel mit der Mama unternehmen werden: Spaziergänge im Lindenhof, Pizza essen, Kaffee trinken, den Rhein direkt vor der Haustür genießen und ihr so ein Gefühl von Vertrautheit und Heimeligkeit vermitteln. Bereits nach wenigen Wochen spielte sich Routine ein. Durchgängig wurden wir freundlich von allen Mitarbeitern begrüßt, mit dem ein oder anderen plauderte man schon mal im Flur und auch der telefonische Kontakt und Absprachen klappten wunderbar.
Noch intensiver wurde der Austausch mit Beginn der Corona-Zeit und der Kontaktbeschränkungen. Wieder eine neue Situation, die unserer Mama nur schwer zu erklären war und wieder ein bisschen Panik, die in uns aufkeimte, wie wir diese Zeit überstehen sollen. Das ruhige und pragmatische Handeln des avendi-Teams hat uns auch durch die vier Wochen komplettes Besuchsverbot souverän geleitet. In kürzester Zeit wurde ein Tablet für Video-Telefonie eingerichtet, sodass die Bewohner ihre Angehörigen nicht nur hören, sondern auch sehen konnten. Für uns eine viel genutzte und super Lösung. Mit viel Feingefühl beobachten die Mitarbeiter ihre Schützlinge und riefen uns sofort an, als sie merkten, dass die Mama einen sehr schlechten Tag hat und eine Ausnahmegenehmigung für den Besuch einer ihrer Töchter und ein bisschen Nähe ihr gut tun würde.
Eine weitere Ebene erreichte das Miteinander vor wenigen Wochen, als sich der Zustand unserer Mama deutlich verschlechterte. Da sie seit März keine Therapie gegen ihren Hirntumor mehr bekommt, waren wir darauf vorbereitet, dass es irgendwann so kommen wird. Sieht man das Bergabgehen aber dann tatsächlich, ist es trotzdem ein Schock. Wir beiden Schwestern saßen tagelang am Bett der Mama und uns dreien wurde von den Pflegerinnen und Pflegern und dem sozialen Dienst so viel Wärme und Mitgefühl geschenkt, wir fühlten uns nie allein gelassen. Einerseits die fachliche Komponente und zu wissen, dass die Mama beispielweise bequem liegt, keine Schmerzen hat und genug Flüssigkeit aufnimmt. So viel bedeutender aber noch die einfühlsame Seite: Es wurde so deutlich, dass unsere Mama und wir als Familie einen Platz bei den Menschen im Herz gefunden haben und durch kleine Anekdoten oder Geste hat jeder Mitarbeiter das auf seine Weise gezeigt.
Nach ein paar Tagen bekam die Mama wieder etwas Auftrieb und wurde wacher. Diese Achterbahnfahrt der Gefühle, von Abschied nehmen zur Freude, dass sie die Augen wieder öffnete, war für uns Angehörige nicht einfach. Wieder wurden wir durch das Team überwältigt. Alle strahlten so viel Freude aus und ein Herzensmensch vom sozialen Dienst sprühte vor positiver Energie und Ideen, die direkt in die Tat umgesetzt wurde.
Ende September heiratet eine der Töchter und für die Mama war es immer ein großes Ziel, dort dabei zu sein. Um ihr ein bisschen Druck zu nehmen und sie teilhaben zu lassen haben, gab es einen unvergesslichen Nachmittag im mit Herzen geschmückten Gemeinschaftsraum: Eine Brautkleidanprobe mit alkoholfreiem Sekt, Blumen, begleitende Klaviermusik und so vielen lieben Menschen. Manche Mitarbeiter kamen extra an ihrem freien Tag oder von anderen Stationen vorbei. Unglaublich viel Liebe, Freude und Dankbarkeit lag in der Luft und wir waren einfach überwältigt. Nicht nur, dass unsere Mama wieder wacher war und am nächsten Tag sogar noch eine symbolische Trauung mit der Pfarrerin miterleben durfte, es ist die unfassbare Zuneigung und Liebe, die uns hier begegnet, die uns für unser ganzes Leben prägen wird.
Es gibt unzählige weiterer solcher erfüllenden Ereignisse aus den vergangenen Tagen. An einem sonnigen Tag wurde die Mama samt Bett auf den Dachgarten geschoben, wo sie die Gesellschaft und Zuneigung der anderen Bewohner und Kaffee und Kuchen genoss. Eine Pflegerin kam in der Nacht ihres 60. Geburtstags mit einem Eisbecher und Kindersekt vorbei, die Mama wird jeden Tag mit gut riechender Bodylotion verwöhnt, es wird ihr vorgesungen, ihr werden Geschichten erzählt und auf unterschiedlichste Weise gezeigt: Du bist nicht alleine auf diesem Weg. Wir fühlen uns in den Arm genommen, werden getröstet und aufgemuntert, wie man es von Zuhause kennt oder sich wünscht.
Ein Zuhause ist das LanzCarré rein förmlich für die Mama schon länger, die Adresse steht in ihrem Personalweis und sie isst und schläft dort seit über einem Jahr jeden Tag. Das es einmal so ein warmer, herzlicher Ort werden kann – vielleicht, wenn man sich selbst ein bisschen öffnet und jeden Tag als neue Chance sieht – hätten wir vor einem Jahr sicher nicht für möglich gehalten. Es gibt unfassbar viele wertvolle und liebevolle Momente, die uns aus dieser Zeit niemand mehr nehmen kann. Keiner von uns hatte es so geplant und niemand weiß, wie es noch weiter geht. Und das ist das Leben mit all seinen Facetten.
Wir sagen DANKE, an alle lieben Menschen aus dieser Zeit!